Erfahrungsbericht einer Ehrenamtlichen

Karin Drexler ist seit 14 Jahren Patin im Projekt Individuelle Lernbegleitung - hier ihr Bericht:

 

Als ich im Jahr 2010 eine Info-Veranstaltung des Kreisjugendrings besuchte fühlte ich mich sofort angesprochen und war begeistert von der Arbeit der Patinnen und Paten. Ich wollte meinen Beitrag zu dieser guten Idee leisten und hinterließ meine Kontaktdaten.

Ich hatte keinerlei Vorkenntnisse diesbezüglich. Aber ich hatte zu Hause zwei pubertierende Töchter, die mich durch viele Höhen und Tiefen führten. Und genau diese Erfahrungen als Mutter wurden mir eine Hilfe, denn in der Zusammenarbeit mit den Mädchen durchlebe ich ebenfalls nicht nur Höhen sondern auch Tiefen.

In den darauf folgenden Jahren habe ich sehr unterschiedliche Mädchen kennen gelernt. Das Spektrum reicht von totalem Desinteresse bis hin zu ziemlich überzogenen Zukunftsvorstellungen. Dem Einfühlungsvermögen der Mitarbeiter in der Fachstelle Individuelle Lernbegleitung ist es zu verdanken, dass ich immer Mädchen zugewiesen bekam, mit denen ich mich gut verstanden habe. Hier möchte ich kurz erwähnen, dass mir als Frau immer nur Mädchen zugeteilt worden sind. Mein Mann, der meinem Beispiel folgte und ebenfalls Pate geworden ist, kümmert sich um die Jungs.

Das erste Zusammentreffen verläuft immer ähnlich. Renate Zaiser vereinbart einen Termin, zu welchem sie selbst, die Klassenlehrerin oder -lehrer, ein Elternteil, das Mädchen und ich hinzu kommen. Und damit endet auch schon die Ähnlichkeit. Denn so verschieden die Mädchen sind, so verschieden ist auch meine Vorgehensweise. Jedes Mädchen unterscheidet sich hinsichtlich Vergangenheit, Herkunftsland, Familienkonstellation, Begabungen, Stärken und Schwächen. Das ist einer der Gründe, weshalb ich das Amt als Patin so gern ausübe. Jedes Mädchen hat einen einzigartigen Charakter, hat Talente und Begabungen.

Diese verborgenen Schätze herauszufinden ist eine meiner ersten Aufgaben. Die Mädchen werden mir zugewiesen, weil es in der Schule Probleme gibt, der Notendurchschnitt schlecht oder die Versetzung in die nächste Klasse gefährdet ist. Manchmal erfahre ich bereits beim ersten Zusammentreffen den Grund für die Probleme. Manchmal jedoch dauert es lange und bedarf vieler Gespräche, bis ich langsam die eigentlichen Sorgen und Ängste des Mädchens erahne. Voraussetzung dafür ist Vertrauen, Verschwiegenheit, Taktgefühl und Menschenkenntnis.

Dann folgt die eigentliche Arbeit. Meistens treffen wir uns wöchentlich entweder in der Schule, beim Spaziergang oder in einem Café. Dabei fühle ich mich oft wie eine Leitplanke, die ein Abdriften der Heranwachsenden verhindert und diese auf einen guten Weg bringt. Manchmal muss ich durch Ermutigungen ihr Selbstbewusstsein aufbauen. Ich erinnere mich an ein Mädchen, welches sich am liebsten versteckt hätte, um den Blicken der Mitmenschen zu entrinnen. Ein anderes Mädchen war das Gegenteil; sie leerte einer Klassenkameradin eine volle Salatschüssel über den Kopf.

Ein weiteres Mädchen hatte die Diagnose Dyskalkulie erhalten. Sie litt an einer Entwicklungsverzögerung des mathematischen Denkens. Mit viel Geduld versuchte ich ihr bei dieser Rechenschwäche zu helfen und erklärte ihr immer wieder mathematische Zusammenhänge. In der Zeit von Corona war das ganz besonders mühsam. Als Nachhilfelehrerin habe ich mich aber nie gesehen. Vielmehr als eine Wegbegleiterin und Beraterin. Denn viele der mir anvertrauten Mädchen beschäftigen sich mit der Berufswahl. Ich überlege mit ihnen, welcher Beruf der Richtige ist, begleite sie zu Ausbildungsmessen, vermittle Praktika und helfe beim Schreiben der Bewerbungen.

Ich freue mich, wenn aus den zunächst unsicheren Mädchen junge Frauen werden, die den Start ins Berufsleben meistern und selbstbewusst ihren Weg gehen. Ich denke an eine junge Syrierin, die mit zehn Jahren nach Deutschland kam. Sie war hier zunächst sehr unglücklich, musste Schrift, Sprache und Kultur lernen und rebellierte gegen alles. Durch viel Ermutigung und Zuspruch schaffte sie zunächst den Hauptschulabschluss, nach einem Jahr die Mittlere Reife und hat schließlich einen Ausbildungsplatz gefunden. Während unserer Zusammenarbeit hat sie sich zu einer verantwortungsbewussten, selbstsicheren und freundlichen jungen Frau entwickelt. Genau das ist es, weshalb ich mein Ehrenamt als Patin so interessant und bereichernd empfinde.

 

Karin Drexler

Juni 2024

Informationen zu Frau Drexler und ihrer  ehrenamtlichen Arbeit in der Zeit der Pandemie finden Sie hier im Beitrag des Schwarzwälder Boten aus dem Jahr 2021 Begleitung für Schüler: Kreisjugendring Calw rechnet mit steigendem Bedarf – Calw – Schwarzwälder Bote (schwarzwaelder-bote.de)

Renate.Zaiser-Woischiski@kreis-calw.de